10. Internationales Feldbahntreffen

von 6. Bis 8. Oktober 2000 - P'tit train de la Haute Somme (F)

Sicherheit und Gesetze

Leighton Buzzard Railway

Die frühen Tage

Irgend wann wurde in uns allen über die Spielzeugeisenbahn das Interesse an der Eisenbahn erweckt. Denkt einmal an die ersten einfachen Anlagen zurück, daran wie Personen- und Güterwagen entgleist sind. Wie ging es weiter? Die „große Hand vom Himmel" richtete wieder alles und das Spielen konnte weitergehen.

Wir spielen aber nicht im Maßstab 1:1! Was passiert wenn zwei Züge auf einer Strecke verkehren und der vor uns fahrende Zug außer Sichtweite ist? Wie wissen wir wo der zweite Zug ist, was passiert wenn etwas unvorhergesehenes eintrifft.

Betrachten wir einmal folgende Situation: eine Strecke mit einem oder mehreren Überholungsgleisen und Zug A hat Vorrang. Eine Regel beschreibt, wenn der Zug B dem Zug A auf der Strecke begegnet, muss der Zug B bis zum nächsten Überholungsgleis zurücksetzen und Zug A erhält die Durchfahrt. Wer ist aber für das Stellen der Weichen zuständig, so dass auch Zug B weiterfahren kann? Ist es der Lokführer oder Heizer (der zweite Mann) oder muss es der Zugführer tun? Diese Fragen sind einfach zu beantworten wenn wir für unser eigenes Vergnügen fahren und nicht für die Öffentlichkeit. Was ist aber anders wenn Publikum dabei ist? Um diese Frage zu beantworten müssen wir auf den Anfang zurückblicken und eine geistige Reise durch die Eisenbahngeschichte unternehmen.

Diese Reise wird notwendigerweise im Vereinigten Königreich stattfinden. Aber keine Bange, vieles davon lässt sich auch auf den europäischen Kontinent übertragen.

Aus der historischen Perspektive

Zum Beginn um 1800 war die Zeit von starken Hierarchien geprägt. Die Adeligen, die Landbesitzer und die Bauern dominierten in einen vorwiegend landwirtschaftlich orientierten Gesellschaft. Die ersten Eisenbahnen, von Hand oder Pferden bewegte Wagen auf eisernen Schienen, hatten bereits ihre Verwendung im Bergbau und in Gruben gefunden. Die ersten Experimente mit Dampf fanden 1803 durch Trevithick´s Lokomotive in den Coalbrookdale Eisenwerken statt.

Nach einem vom Parlament verabschiedeten Gesetzt nahm 1812 die Middleton Eisenbahn Leeds als erste Bahn im Vereinigten Königreich mit Matthew Muray´s Lokomotive den Dampfbetrieb auf. Und Personenzüge? Die Liverpool und Manchester Eisenbahn, wo die Rainhill Fahrversuche 1829 stattfanden, wurde 1830 offiziell eröffnet und ab 1830 waren Personenzüge zugelasen.

Seit 1833 wurde in den zurückliegenden 167 Jahren die Eisenbahngeschichte vermischt mit Erlebnissen, Unfällen, Verbesserungen und neuen Entwicklungen.

Wir werden einen kurzen Überblick geben und werden in diesem Zusammenhang die Themen Sicherheit und Eisenbahnbetrieb behandeln.

1840 erhielt George Stephenson, sicher der bekannteste Mann in der Eisenbahngeschichte, den Auftrag die Stockton und Darlington Eisenbahn zu bauen. In dieser Zeit empfahl der Präsident des Handelsministeriums eine bessere Kontrolle der neuen Eisenbahnen. Wer hatte Erfahrungen mit umfangreichen Erdarbeiten und dem Bewegen von Menschen und Gütern?

Eintritt des Militärs

Die Antwort war das Militär, vor allem das Royal Corps of Engineers. Das militärische Personal brachte dem neuen Transportsystem anfangs die nötige Erfahrung, Ausbildung und die erforderliche Disziplin. Diese waren zur Genehmigung des Personenbetriebes zwingend notwendig.

Interessant ist, dass sie in dieser Zeit keine Verantwortung besaßen. Erst in 1840, als bei einem Eisenbahnunfall sechs Menschen bei der Hull und Selby Eisenbahn starben, wurde für die Untersuchungen ein Offizier von den Royal Engineers zum Ministerium Board of Trade abgeordnet.

Vorschriften – welche Vorschriften?

Die erste Konferenz von Eisenbahn-Geschäftsführern fand 1841 in Birmingham statt, mit dem Ziel ein Gesetzbuch für den Eisenbahnbetrieb und Signalanlagen zu verfassen. Dieses Organ beschäftigte sich nach 1842 hauptsächlich mit der Beurteilung und dem Berechnen von Güter- und Personentransporten der verschiedenen Britischen Eisenbahn-Systemen.

Die Entwicklung der Eisenbahngesetze wurde durch die Häufigkeiten der Unfälle und der Entwicklungen der Eisenbahningenieure beeinflusst, immer in der Hoffnung, dass Reisen mit der Eisenbahn sicherer wird. Aber die Umsetzung neuer Erfindungen auf das gesamte Eisenbahnsystem vollzog sich nur sehr langsam. Das häufigste Argument gegen die Umsetzung waren die Kosten und damit verbunden, der negative Effekt auf den Profit der Eisenbahngesellschaften.

Signale und Bremsen

Während der 1830er Jahre wurde der Eisenbahnverkehr durch den zeitlichen Abstand der Züge reguliert. Signale in Form von Scheiben und Kreuzen waren in 1840 auf der Great Western Eisenbahn zu sehen. Semaphore Signale wurden 1841 auf der Greenwich Eisenbahn eingeführt. Einfache unterteinander verriegelte Weichen setzten sich ab 1843 durch. Zehn Jahr später, ab 1853 wurde auf eingleisigen Strecken ein Stab übergeben. Der verhinderte, dass sich gleichzeitig zwei Züge in einem Betriebsabschnitt aufhalten konnten. Patentierte untereinander verriegelte Weichen kamen 1856 und drei Jahr später, in 1859, wurden Weichen untereinander verriegelt, bei denen zwei voneinander abhängige Stellhebel bewegt werden mussten. In den späteren 1860er Jahren wurden Weichen konstruiert, die eine Verstellung während der Zugüberfahrt verhinderten. Es wurde dadurch sichergestellt, dass die Weichen immer in Abhängigkeit der Signale auf freie Fahrt gestellt wurden. Die Weichen konnten erst gestellt werden wenn die Signale auf Rot standen.

Führerlose Wagen

1858 ereignete sich nahe Wolverhampton ein schweres Zugunglück bei dem 14 Passagiere gestorben sind. Einige Wagen eines Personenzuges haben sich selbständig gemacht und sind mit einem folgenden Zug zusammengestoßen. Zwei Jahre später ereignete sich 1860 ein ähnlicher Unfall in Helmshore/Lancashire bei dem 11 Passagiere gestorben sind. Beide Unfälle führten zur Entwicklung durchgehender Bremsen. Bereits 1852 lag das Patent für eine durchgehende mechanische Bremsen vor. Es dauerte weitere 21 Jahre ehe George Westinghouse seine durchgehende Bremse im Jahre 1873 patentieren lies. Die nichtautomatische Vakuumbremse wurde 1874 auf der North Eastern Eisenbahn eingeführt und Greshams´s durchgehende Automatischen Vakuumbremse im Jahre 1878.

Ein schweres Zugunglück mit 25 Toten durch einen Frontalzusammenstoß auf einer eingleisigen Strecke der Great Eastern Eisenbahn führte zu Experimenten neben dem Stab auch die Elektrizität zu nutzen. Das Ergebnis war 1878 die Erfindung des elektrischen Schlüssels für eingleisige Strecken.

Kontrolle und Inspektionen

Ende des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass mehr formale Kontrollen notwendig sind. Die Regierung beauftragte nochmals die Ingenieure des Heeres mit der Bereitstellung von Personal, das später unter dem Namen „Her Majesty´s Railway inspectorate" bekannt wurde. Die ersten Ausbildungen von Offizieren im Eisenbahnbetrieb wurden bei der London, Chatham und Dover Eisenbahn veranstaltet. Kein Wunder, denn die Truppen der Königlichen Ingenieure waren in Chatham stationiert.

Man nimmt an, dass die Inspektoren dort oft Gelegenheit zum Üben hatten, denn man nannte diese Bahn auch „Zusammenstoßen, kaputtmachen und zur Seite kippen"!

Die Britische Army – nicht nur in UK - hatte auch die Möglichkeiten der Material- und Truppenbewegungen erkannt, auch in Übersee auf dem kontinentalen Europa und in den weit verstreuten Britischen Kolonien. Dieses führte 1880 zur Gründung eines Heeres Eisenbahn Training Zentrums bei Longmoor, wo das Personal das Instandhalten, die Pflege, das Reparieren und das Einsetzen des Eisenbahnsystems in Friedens- und Kriegszeiten üben konnten. Interessanterweise war die militärische Disziplin und die Befolgung von Regeln das Mittel zum Betreiben von zivilen Eisenbahnen.

Die Kraft der Gesetze

Im Jahre 1871 verabschiedete das UK ein Gesetzt mit Vorschriften für Eisenbahnen. Es verlangte, dass alle Unfälle von Personenzügen dem Transportministerium gemeldet werden müssen. Der Minister war dazu ermächtigt eine Untersuchung zu jedem Unfall zu veranlassen, einen Inspektor zu benennen und die Ergebnisse der Untersuchungen zu veröffentlichen.

Es war wieder ein schwerer Unfall, der einen bedeutenden Schritt zum sicheren Eisenbahnbetrieb hervorrief. 1889 blieb ein schwerer Personenzug auf einer Steigung bei Armagh/Irland liegen. Er rollte zurück und stieß mit dem folgenden Personenzug zusammen, es gab 80 Tote. Das Resultat war ein Gesetz zur Regulierung des Eisenbahnbetriebes, welches dem Handelsministerium die Vollmacht zu folgenden Forderungen gab:

  1. Das Verriegeln von Weichen und Signalen untereinander.
  2. Absoluten Blockbetrieb auf Personenzugstrecken (nur ein Zug je Betriebsabschnitt).
  3. Automatische durchgehende Bremsen in allen Personenzügen.

Dieses Gesetz wurde bei allen Eisenbahnern unter „Schließ, Abstandsicherung und Bremsen" bekannt. Alle drei Forderungen wurden auf den Personeneisenbahnen bis 1890 umgesetzt.

Sicherheit für die Beschäftigten der Eisenbahnen

Es sollten noch dreißig Jahre vergehen, ehe nach dem Gesetz mit Vorschriften für Eisenbahnen aus dem Jahre 1871, ein Gesetzt verabschiedet wurde, das dem Wohl der Eisenbahner diente. Während diesem Zeitabschnitt wurden in schlechten Jahren 150 bis 300 Eisenbahner pro Jahr durch Unfälle getötet. Das Eisenbahnbeschäftigtengesetz zur Verhinderung von Unfällen wurde 1900 verabschiedet. Es hatte 50 Punkte im Bezug auf die Sicherheit der Eisenbahner und wurde bis 1902 bei allen Eisenbahnbetrieben eingeführt. Dadurch wurde die Sicherheit der Passagiere und Eisenbahnbediensteten langsam verbessert. Es vergingen viele Jahre, ehe die Eisenbahngesellschaften im UK in Statistiken zeigen konnten, dass keine Passagiere bei Unfällen ums Leben gekommen sind und eine entscheidende Reduzierung des Unfallsterbens von Eisenbahnern erfolgte. Der Anhang zu diesem Bericht zeigt die Statistik von 1947 bis 1999.

Nostalgie-Eisenbahnen

Seit nahezu 50 Jahren Betrieb von Nostalgie-Eisenbahnen, seit der Eröffnung der Talylln Railway in 1951, hat es nur einen Todesfall gegeben. Es hätte keinen Toten gegeben, wäre er nicht betrunken aus dem Wagenfenster auf das Dach des Personenwagens geklettert und von einer Brücke erwischt worden.

Es ist meine Überzeugung, dass die Beachtung der Gesetzbücher, durch alle 109 Betreiber von Museums- und Touristikbahnen im UK, das Fundament für dieses ungewöhnliche Ergebnis bilden.

Noch mal Gesetze

Regelungen und deren Befolgung funktionieren nur, wenn alle Beteiligten wissen, dass man ihnen vertrauen kann. Dieses Wissen kann nur anhalten, wenn es regelmäßig geprüft wird, kombiniert mit den praktischen Erfahrungen aus den Betriebsgegebenheiten. Direkt gesagt: das Fundament des Vertrauens bei allen Beteiligten des Eisenbahnbetriebes sind selbständige Prüfungen und deren erfolgreiches Bestehen – jeder Mensch soll wissen, was er tut.

Die Gesetze und deren Befolgung zu jeder Zeit, bedeuten, dass im Notfall kein Halten und Nachdenken erforderlich sind. Die Vorgänge sind beschrieben und die entsprechenden Schritte werden umgesetzt.

Zum Schluss

Die Sicherheit der Passagiere bei der Eisenbahn wurde mit einem hohen Preis bezahlt. Wir haben an den vorgenannten Beispielen gesehen, das etwa 100 Jahre vergangen sind bis die Öffentlichkeit davon überzeugt werden konnte, dass eine Reise mit der Eisenbahn sicher ist und die Eisenbahner in einem sicheren Arbeitsklima beschäftigt sind.

Viele Teilnehmer dieses 10. Internationalen Feldbahnertreffen benutzen Lokomotiven und Wagen militärischen Ursprungs. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde viel überflüssiges Eisenbahnmaterial an private Betriebe verkauft: Bergbau, Fabriken, Bauunternehmen und weitere Industriebetriebe, alle kauften von dieser Quelle. Mein eigener Eisenbahnbetrieb, die Leighton Buzzard Railway, hatte als erster Betrieb der Welt 1921 die Möglichkeit durch ehemalige Militärlieferungen von Dampf auf Motortraktion umzustellen. Der Dampfbetrieb ist erst 1971 beim Betrieb als Museumseisenbahn wiedereingekehrt.

In diesen Gedanken über die Eisenbahngeschichte haben wir gesehen, dass es knapp 100 Jahre dauerte, ehe sich die Öffentlichkeit und der Beschäftigte mit der Eisenbahn sicher fühlen konnte. Eine Erfahrung die mit einem hohen Preis bezahlt wurde. Dies zahlt sich aber aus, denn die Öffentlichkeit hat wahrgenommen: „Das Reisen mit der Eisenbahn ist sicher".

Die Verflechtung der Einflüsse von Militärischen Eisenbahnbetrieb, unsere Beschäftigung mit altem militärischen Eisenbahnmaterial und auch das öffentliche Interesse haben für uns eine wichtige Bedeutung.

Viele unserer Betriebe, wenn nicht sogar alle, existieren nur, weil wir die Öffentlichkeit zum Bezahlen unserer Freude einladen. Wenn wir beim Eisenbahn „spielen" zu wenig bieten, ist dies vergleichbar mit einer kriminellen Tat. Die Betriebsgesetze sind der Modus beim sicheren Betreiben einer Eisenbahn. Die Befolgung dieser Betriebsgesetze sind der Weg mit dem die Betriebssicherheit gewährleistet werden kann.

 

Tony Tomkins – Vice President
Leighton Buzzard Railway.

July 2000

 

Ich danke Major John Poyntz von Her Majesty´s Railway Inspectorate für seinen Rat und seine Unterstützung beim Inhalt dieses Papiers.

Kommentare und Meinungen sind jedoch vollständig vom Autor.

 

Übersetzung ins Deutsche durch Kelvin Parkes und Udo Przygoda FRANKFURTER FELDBAHNMUSEUM, im Oktober 2000

 

Anhänge und Legende:

Tabelle der Todesfälle von Passagieren und Eisenbahnern bei Zugunfällen von 1947 bis 1998

Année

1940

1941

1942

1943

1944

1945

1946

1947

1948

1949

PASS

             

93

39

0

RLYM

             

8

14

6

 

Année

1950

1951

1952

1953

1954

1955

1956

1957

1958

1959

PASS

11

43

111

22

0

40

0

92

18

1

RLYM

8

4

9

7

1

8

3

4

5

8

 

Année

1960

1961

1962

1963

1964

1965

1966

1967

1968

1969

PASS

6

9

20

1

5

2

0

71

10

10

RLYM

6

10

2

12

9

5

3

5

8

9

 

Année

1970

1971

1972

1973

1974

1975

1976

1977

1978

1979

PASS

2

3

6

14

1

47

0

0

13

8

RLYM

7

7

3

3

4

7

8

3

3

8

 

Année

1980

1981

1982

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1989

PASS

0

4

0

2

18

0

8

3

34

6

RLYM

4

1

8

1

6

0

5

1

2

6

 

Année

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

PASS

0

2

0

0

3

1

1

7

0

 

RLYM

1

2

1

0

5

1

0

0

0

 

a.) Pass = Passagiere RLYM = Eisenbahner

b.) Diese Zahlen beinhalten keine Todesfälle durch Selbstmord oder unbefugtes Betreten.

c.) Diese Zahlen für 1952 beinhalten 108 Passagiere und 4 Eisenbahner in dem Unfall von Harrow und Wealdstone am 08.10.1952.

d.) Diese Zahlen für 1957 beinhalten 87 Passagiere und 1 Eisenbahner in dem Unfall von St. Johns am 04.12.1957.

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